Wenn man in Deutschland lebt und „Hartmut El Kurdi“ heißt, scheint für viele Leute alles klar zu sein. Deutsche Frau erliegt dem Charme eines zur Fabrikarbeit – oder in der Upper-Class-Edel-Variante: zum Medizinstudium mit anschließender Facharztausbildung Gynäkologie – eingereisten Südländers. Es kommt zum ungeschützten Geschlechtsverkehr. Folgen für das Hybridkind: lebenslanger Migrationshintergrund.
El Kurdi dazu: „ Wenn meine Biographie so wäre, hätte ich nichts dagegen. Das sind ehrenvolle Entstehungsumstände. Einige meiner besten Freunde sind Gastarbeiterkinder – oder Kinder von kassenzugelassenen Gynäkologen. Aber es hat nicht sollen sein, bei mir war es halt anders. Ich habe inzwischen den Verdacht, dass es immer anders ist. Selbst die vermeintlich typischen Gastarbeiter-Biographien, haben alle ihre überraschenden Besonderheiten. Zum Beispiel sind viele vermeintliche Türken Kurden oder Tscherkessen oder Armenier oder ethnische Araber - viele vermeintliche Moslems sind Aleviten oder Jesiden, manche auch Christen, manche Arbeitsmigranten sind Flüchtlinge, manche Flüchtlinge Studentinnen, manche Industriearbeiter Abiturienten. Nicht, dass irgendetwas davon besser wäre als das andere. Aber eben anders.“
In El Kurdis Fall ist die Besonderheit, dass sein Migrationshintergrund daher rührt, dass einer seiner Elternteile sein kaputtes, durch einen Krieg zerstörtes Land und damit ein trauriges Leben verließ, um woanders sein Glück zu suchen. Als astreiner Wirtschaftsflüchtling. Dieser Elternteil war seine deutsche Mutter.
Das Land, aus dem sie emigrierte, lag in Schutt und Asche, weil es kurz vorher, im 2. Weltkrieg, die Welt ins Unglück gestürzt hatte. El Kurdi beschreibt wie seine Mutter aus den fast noch rauchenden Ruinen Nazi-Deutschlands ins Land des ehemaligen Kriegsgegners England emigriert – und dort freundlich aufgenommen wird. Eben noch hat sie als BDM-Mädel gelernt, Menschen nach ihrer Nasenform rassisch einzuordnen und abzuqualifizieren, im nächsten Moment trifft sie in England einen Jordanier, geht mit ihm in sein Heimatland und findet sich dort überraschenderweise nicht nur unter Arabern wieder: Die El Kurdis sind eine Familie, die selbst schon eine längere Geschichte von Auswanderung und Flucht hat. Sie trifft auf Kurden aus dem Irak und Syrien, auf Tscherkessen, die aus dem Kaukasus in die Türkei und den Libanon geflohen sind.
O-Ton El Kurdi: „Immer öfter habe ich die Vermutung, dass der El-Kurdi-Clan Teil eines aufklärerischen Gen-Experiments ist. Ziel dieses Experiments scheint es zu sein, das in den letzten Jahren gern zitierte „gesunde“ Nationalgefühl durch gezielte Völkervermischung innerhalb einer Familie wegzumendeln. Dahinter steckt vermutlich eine kosmopolitische, internationalistische Geheimorganisation. Irgendwelche muslimisch-jüdischen, anglo-amerikanischen kapitalistischen Kommunisten-Globalisierer - die üblichen Verdächtigen eben.“
Inszeniert von Ulrike Willberg und zur atmosphärischen Livemusik von Maria Rothfuchs erzählt Hartmut El Kurdi von Menschen die ihre Heimat verlassen: freiwillig, gezwungenermaßen oder zufällig. Von Reisenden, die ankommen, ein neues Zuhause finden oder fremd bleiben. Vom ganz normalen Völkerwandertag eben. In einer Mischung aus selbstironischem Theater-Monolog, Lecture-Performance und skurrilem Dia-Abend geht es um verschwimmenden Grenzen, Doppelpässe, babylonisches Sprachengewirr. Und um Fragen wie: Wer darf wann wo sein? Wer bestimmt das? Und warum ist das alles vielleicht nur eine Frage des richtigen oder falschen Timings?
HOME.RUN – Eine grenzverletzende Familiensaga
von und mit Hartmut El Kurdi
Regie: Ulrike Willberg
Musik: Maria Rothfuchs
Dramaturgie: Rania Mleihi
HOME.RUN ist eine Koproduktion der „Agentur für Weltverbesserungspläne“ mit dem Schauspiel Hannover
Gefördert durch: